Erzähl-Installation / Installazione narrativa (?)

Zum Format von Entehrt. Ein versuchter Ehrenmord in Kalabrien - Notizen von Roberta Cortese

Die traditionellen Theaterformen sind mir mit der Zeit immer fremder geworden, sowohl als Zuschauerin als auch als Künstlerin. Ich kann (noch) nicht auf Texte verzichten, wende mich aber meist sehr lyrischen Theatertexten - wie eben Entehrt von Saverio La Ruina - oder gleich der Lyrik zu. Ich erforsche gerne die Möglichkeiten der Lyrik als performative Kunst und bemühe mich, eine inklusive Form der Texterfahrung in einem von Publikum und Performer*innen gemeinsam erlebten Raum zu erschaffen. Immersives Theater ist nichts Neues, der Unterschied besteht für mich darin, dass ich Lyrik oder eine lyrische Bühnensprache in den Mittelpunkt stelle - eine Kunstsprache, die, wie Musik, über das Kognitive hinausgehen kann.

Die Literaturforscherin Emily Spears erklärt in Bezug auf spoken word performer Kate Tempest: “Creating, telling, and hearing a story entails entering into a moment of intersubjective potentiality that demands the expansion of one’s own subjective position to account for the other with ‘radical empathy’—even when faced with intractable alterity. […] Immersing oneself in the work of art, a work of pretence, allows the reassessment of the world in the same terms as the work of art, revealing the ‘scale’ and ‘grandeur’ of ‘everyday epics’.”[1] Demnach können Performance Poetry oder lyrische Theatertexte, im Gegensatz zur 'gedruckten' Lyrik, als soziales Ereignis erlebt werden und sowohl kritisches Denken als auch "radikale Empathie" anregen.

Um das Eintauchen in dieses Kunstwerk aus Worten zu erleichtern, kann der Raum zur Hilfe kommen. Und wo nicht nur die vierte, sondern alle vier Wände abgebaut wurden, kann das Bühnenbild zur begehbaren Installation werden. So spielt hier die Erzählung nicht auf einer Bühne, sondern im Haus ihrer Hauptfigur Pasqualina: zwischen Waschküche und Wohnzimmer, in einem gemütlichen Patchwork von Sitzgelegenheiten und aufgehängter Wäsche, das der familiären Stimmung des Textes entspricht.

In dieser Erzähl-Installation wird für mich Pasqualinas Geschichte des an ihr versuchten Femizids in einem - aus österreichischer Sicht - fremden Land für mich zum Mittel, die aktuelle Situation in Österreich zu erfassen und gleichzeitig als globale Bürger*in zu versuchen, weltweit zuzuhören. Pasqualinas 'Waschküche' verbindet sie und uns mit ihren Schicksalsschwestern: Räumlich füllt sie sich mit den hängenden Frauenwäscheporträts der österreichischen Opfer, während die Stimmen vieler anderer aus aller Welt erklingen, wie ein gebrochenes Lispeln, das zu Pasqualina führt - wo dann die Erzählung beginnt.

 

[1] Emily Spears, “Kate Tempest. A ‘Brand New Homer’ for a Creative Future” in Homer’s Daughters, Women’s Responses to Homer in the Twentieth Century and Beyond, edited by Fiona Cox and Elena Theodorakopoulos, Oxford University Press, 2019, p. 123.